Der Weg zum technischen Fachwirt

 

 

1995 arbeitete ich bei meiner jetzigen Firma im Schaltschrankbau. Oder sagen wir besser, in der Schnellfertigung. Es war zum Unterschied zu den anderen Kollegen ein Bereich, bei dem zwar die Projekte nicht so riesengroß waren, dafür aber nicht nur der Zusammenbau das Programm, sondern auch gleich die Prüfung mit Protokoll und Dokumentation. So gesehen eine tolle Arbeit, zumal ich in dieser Abteilung bereits nach zwei Jahren zum „Teamleiter“ wurde, weil mein Vorgänger in einen anderen Bereich wechselte. Die Arbeit machte Spaß, ich hatte zwei Kollegen, die ich betreuen und beaufsichtigen durfte und regelmäßig kam auch ein Azubi dazu, dem man dann mal zeigen durfte, was Arbeiten zum Kunden bedeutete.

 

Dennoch war es für mich ein Stück weit auf der Stelle treten. Es war irgendwie keine richtige Herausforderung mehr für mich. Alle Abläufe waren nach den vier Jahren in Fleisch und Blut übergegangen und die beiden zu betreuenden Kollegen…. Naja, sagen wir mal so, das Licht am Ende des Tunnels scheint heller… Einzige Abwechslung waren wirklich zum Schluss die Azubis, bei denen immer mehr auch junge Mädels auf der Matte standen, die ihrem männlichen Kollegen so manches Mal zeigten, wo die Messlatte hängt.

 

Wir waren in der Systemtechnic insgesamt 80 Leute, davon ungefähr die Hälfte im gewerblichen Bereich, die andere Hälfte Projektierung, Konstruktion und Kaufleute. Die Zusammenarbeit mit den Projektingenieuren machte viel Spaß und ich lernte von Ihnen sehr viel, was weit über meinen Arbeitsplatz hinausging. Ich hatte einfach Interesse, tiefer in diese Projektierungsarbeit einzusteigen.

 

Und so habe ich mir immer wieder Gedanken gemacht, wie ich mich über eine Weiterbildung besser qualifizieren konnte, aber hier etwas wirklich Wegweisendes zu finden war gar nicht so einfach. Bis Kollege Rainer eines Tages durch die Reihen lief und verkündete, er würde die Weiterbildung zum technischen Fachwirt machen. Ich gleich zu ihm hin und nachgefragt, was das denn so ist, weil den technischen Betriebswirt, den kannte ich, aber den Fachwirt? So standen wir da und unterhielten uns, Karin gesellte sich dazu und Kerstin, Ihre Freundin blieb auch noch stehen.

 

Der technische Fachwirt, so stand es da in den Unterlagen, soll die Brücke zwischen dem technischen Bereich und dem kaufmännischen Bereich schließen. Hei, genau das, was ich wollte! Etwas über den kaufmännischen Bereich lernen und den technischen Bereich vertiefen! Für mich war klar, das ist es! 1 ½ Jahre Abendschule mit Prüfung an der IHK…. Passt!

 

Nach kurzem Zögern hat sich dann auch Karin entschieden, und was Karin macht, macht auch Kerstin…. Okay, die Schule kostete jeden Monat etwas mehr als 100 D-Mark, was sich über das Jahr auch zu einer stolzen Summe aufaddierte. Und so war das Quartett wenige Tage später gemeinsam eingeschrieben und angenommen.

 

Die Ausbildung unterteilte sich in drei Semester, zuerst der allgemeine Teil, dann der rein technische Teil und zum Abschluss der rein kaufmännische Teil. So begann eine neue Zeit mit neuem Rhythmus und neuer Ausrichtung. Montag, Mittwoch und ab und zu Freitags von 18.00 Uhr bis 21.00 Uhr und jeden Samstag von 7.30 Uhr bis 12.30 Uhr.

 

Ich erinnere mich noch an die Worte unseres Klassenlehrers: Euch wird es jetzt vorkommen, als ob für nichts mehr Zeit übrig wäre, aber glaubt mir, wenn die Schule vorbei ist, ihr wisst gar nicht mehr, was ihr mit der vielen Freizeit machen sollt…

 

Wir waren insgesamt 30 Schüler mit einem Anteil von 6 Frauen, die alle aus den unterschiedlichsten Bereichen kamen: Umwelt, Daimler-Zahnradproduktion, Fließband, Graphikbüro, Werbeagentur, es war wirklich alles vertreten und so lernte man durch die Gespräche auf dem Schulhof auch sehr bald mehr über ganz andere Bereiche, bei denen man sich vorher nie vorstellen konnte, was die dort tun!

 

Der Klassenlehrer schaute so durch die Reihen und meinte dazu: Aha, 6 Niveauverstärker…. Schade, jetzt muss er erst mal neue Witze überlegen…. Das lässt tief blicken…. Dennoch war es ein guter Unterricht, der einen schon ganz schön förderte und auch forderte. Je nach Fach wurde man mit Unterlagen und Informationen geradezu zugeworfen, bei manch anderen Fächern dümpelte das Thema so vor sich hin und die Zeit war auch irgendwann vorbei.

 

Jetzt wollte ich aber auch in der Firma schon mal die Weichen stellen, dass ich nach Abschluss der Weiterbildung auch einen Sprung in der Arbeitsstelle machen möchte. Also ab zum obersten Chef und Ihm den Verlauf der nächsten 1 ½ Jahre aufgelistet und mit dem Satz beendet: Und bis dahin gehe ich davon aus, haben Sie einen passenden Büroarbeitsplatz für mich, entweder im Bereich Konstruktion oder Projektierung.

 

Bumm! Klare Ansage, ohne Umwege. Diese geradlinige Ausführung muss aber den Leiter der Systemtechnik doch so beeindruckt haben, dass er mir versprach, meinen Wunsch zu notieren und bei passender Gelegenheit an mich denken würde. Okay, eigentlich eine Aussage, die so gar nichts wirklich Verlässliches beinhaltet, aber ich war zumindest für den Moment zufrieden. Dieses Gespräch fand im September 1995 statt. Im Unternehmen gesamthaft war ebenfalls eine Umstrukturierung im Gange, die mir zuerst etwas in meinem Vorhaben zurückwerfen sollte, aber zum Schluß die bahnbrechende Wende bringen sollte. Mein ehemaliger „Teamleiter“ aus der Schnellfertigung hatte innerbetrieblich gewechselt, sodass natürlich zuerst einen Nachfolger für mich gesucht und eingearbeitet werden musste, bevor an einen Wechsel meiner Person in Betracht gezogen werden konnte. Aber das Glück war auf meiner Seite. Die neue Abteilung, in die mein Kollege gewechselt war, wurde wieder völlig umgeworfen, sodass es ihm dort nichtmehr gefiel und er zurückkommen wollte. Das war dann meine Chance auf einen neuen Arbeitsplatz.

 

Wie gesagt, das war alles im September 1995. Anfang Oktober kam dann der Leiter der Projektierung auf mich zu und lud mich zu einem Gespräch. Wir sprachen im Verhältnis für solche Gespräche sehr lange und es wurden genau meine Wünsche und Vorstellungen abgecheckt. (Hier muss ich aber mal erwähnen, dass ich einen guten Kumpel hatte, der in der Abteilung für Handhabungstechnik tätig war, in die ich eigentlich wollte. Von daher wusste ich, dass dort weitere Leute gesucht wurden.)

 

Am Ende des Gesprächs meinte der Leiter dann, dass es noch eine Weile brauchen würde, bis er weitere Informationen haben wird, ich müsse jetzt auch erst mal etwas warten, und zudem würde meine Weiterbildung ja noch fast die komplette Zeit dauern!

 

So erfuhr ich dann von meinem Kumpel, dass gerade dieser Leiter der Projektierung der Meinung war, dass es noch nie funktioniert hätte, wenn ein Gewerblicher ins Büro gewechselt hat! Aber ich hatte den Abteilungsleiter aus der Handhabungstechnik auf meiner Seite, wir verstanden und top und waren uns sehr sympathisch.

 

Um meinem Wunsch in die Projektierung zu wechseln auch richtig Nachdruck zu verleihen, habe ich natürlich den Leiter der Projektierung jedes Mal, wenn wir uns begegneten, angesprochen und nachgehakt. Nicht zu penetrant, aber doch so, dass er merkte, wie wichtig mir die Sache ist. Und so kam es dann, wie es kommen musste. Im November noch einmal ein gezieltes Bewerbungsgespräch auf die Stelle des Projektingenieurs für Handhabungstechnik, Darstellung aller Referenzen von mir, aufzeigen, was auf mich zukommt. Und so wusste ich Mitte November, dass ich zum Januar 1996 als neues Mitglied im Team Handhabungstechnik anfangen konnte! Hei, ich war mehr als glücklich, dass ich diese Möglichkeit geboten bekam. Und das, obwohl ich gerade drei Monate auf der Weiterbildung war. Dass dies beinahe ein Schuss in den Ofen geworden wäre, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst.

 

Ich habe die Übergabe meines alten Arbeitsplatzes gut durchgeführt und meinen Schreibtisch im Büro bezogen, die neuen Kollegen noch richtig kennen gelernt, als mir meine Einarbeitungsunterlagen übergeben wurden. Zwei dicke Leitzordner wurden mir auf den Platz gestellt mit dem „dezenten“ Hinweis: Das darfst jetzt lesen und lernen, wenn du durch bist, dann kannst hier mitarbeiten!

 

Ups. Das sah nach einem großen Berg Arbeit aus. So setzte ich mich an meinen Platz und fing an, Seite für Seite durchzulesen und auf zu arbeiten. Technische Mechanik bis ins Detail, Produktinformationen, Regeln der Projektierung, Formeln, von denen ich bis dato noch nie etwas gehört habe und jede Menge gute Empfehlungen. Okay, so alleine betrachtet kein unlösbares Problem, wenn  da nicht immer der Montag, Mittwoch und Freitag sowie Samstag gewesen wäre, an dem man nach getaner Arbeit zudem eine Hochdruckbetankung an neuen Informationen und Wissen bombardiert worden wäre. Ich kam an meine Grenzen der geistigen Aufnahme. Was war das für ein Balanceakt zwischen Neues aus dem Büro und Neues aus der Schule in Einklang zu bringen. So manches Mal saß ich abends auf der Schulbank und fragte mich, was ich hier eigentlich soll, weil die Worte des Lehrers links rein und rechts rausgingen, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Hier halfen auch keine Lerntricks mehr oder Kurznotizzettel, manchmal war der Speicher einfach voll und nichts ging mehr.

Dieses war dann am Arbeitsplatz genauso, sodass hier und da der Fortschritt etwas ins Hinken kam. Aber ich musste ja dem Leiter der Projektierung beweisen, dass ich aus dem gewerblichen Bereich doch der Richtige bin! Zum Glück stand mein Chef voll und ganz hinter mir und verteidigte mich, wenn Chef-Chef seine Entscheidung wieder in Frage stellte. Aus diesem Grund wurde nach 3 Monaten meine Probezeit um weitere 3 Monate verlängert. Zuerst war ich darüber natürlich nicht so erfreut, heute weiß ich aber, dass dies durchaus der richtige weg gewesen ist. In der Schule kam das zweite Semester mit Technik, von der ich in vielen Bereichen schon so einiges wusste und der Teil der Schulzeit etwas entspannter wurde. In der Zeit konnte ich dann im Büro beweisen, dass ich auch da gut sein kann und wurde dann im Juli 1996 fest übernommen! Ich glaube, so mancher von euch kann sich vorstellen, wie erleichtert man ist, einen Arbeitsvertrag mit Festanstellung in den Händen zu halten. Klar, ich wäre nicht aus dem Unternehmen geflogen, wenn es schief gelaufen wäre, aber ich hätte auch den Spott der Kollegen abbekommen, die mich in der Werkstatt wieder empfangen hätten.

 

Das dritte Semester war dann nochmal eine Herausforderung. Ich hatte zwar schon einen groben Überblick, was den kaufmännischen Bereich betraf, aber mein Wissen war geradezu ein Tröpfchen gegenüber dem, was uns eingetrichtert wurde. Und dann noch die Lehrerin, die keinen von uns Schülern abgeholt hat, die auf Fragen kaum verständlichere Antworten geben konnte und nach mehrmaligem Nachfragen, weil keiner ihr folgen konnte, entrüstet den Raum verlassen hatte. Ein Kampf zwischen der Klasse, dem Klassenlehrer und der Schulleitung entbrannte. Wir forderten Kompetenz, die die Schule so schnell nicht einsehen wollte. Doch dann lieferte uns der Klassenlehrer einen jungen Mann von der Uni, der dort schon als Professor Vorlesungen hielt.  Peng, von 0 auf 100 in weniger als 10 Sekunden! Er hatte ein Tempo drauf, dass uns schwindelig wurde, aber der hatte Ahnung, der wusste, was er unterrichtete und egal welche Frage, er konnte super erklären! So wurde der bereits gelehrte, aber nicht bei uns aufgenommene Lehrstoff in einem Bruchteil der Zeit noch einmal wiederholt und mit kurzen, schriftlichen Test abgefragt. Uns rauchten die Köpfe. Aber danke an meinen Klassenlehrer, dass er diesen Mann aufgetan hat. Ohne seinen Unterricht hätten wir in diesem Fach alle samt niemals eine Prüfung bestanden.

 

Und so stand dann die letzte Prüfung auf dem Terminplan. Rainer, Karin, Kerstin und ich, wir trafen uns regelmäßig zum gemeinsamen lernen. Ja, manchmal war es mehr Kaffee trinken und von eigenen Erlebnissen zu erzählen, aber es tat gut, zusammen am selben Strang zu ziehen. So kam die Zeit, bei der man entschied, an welchen Stellen wir den Mut zur Lücke einplanen mussten. Gesetzeskunde? Materialwirtschaft? Wirtschaftskunde? Es war schwer, hier Schwerpunkte zu legen, denn irgendwie war alles wichtig. Nichts desto trotz haben wir die Prüfung geschrieben und zu mindestens waren wir der Meinung, so viel gewusst zu haben, dass es für ein Bestanden reichen würde. Bis auf das Fach Materialwirtschaft. Hier saßen nicht nur wir aus unserer Klasse mit fragenden Gesichtern da, sondern auch die anderen Prüflinge aus anderen Schulen. Die Folge war, dass bei der Ergebnisvergabe in diesem Fach gerade mal 5% mit einer Note besser als 4,0 bestanden, alle anderen hatten „Bestanden“ im Zeugnis stehen. Schon verdächtig, und im Nachhinein wurde dann bekannt, dass der Lehrer, der die Prüfung vorbereitete, garkeinen Unterricht gemacht hat, sondern nur nach Stoffplan die Fragen zusammengestellt hatte und nichts über unseren Wissenstand wusste. Hätten die Prüfer wirklich benotet, wären 95% durchgefallen! So wurde abgewogen, ob man uns neu prüfen wollte oder einfach bestehen lassen wollte. Zum Glück ließ man uns einfach so bestehen. Denn eine zweite Prüfung in dem Fach… au weia, was da wohl rausgekommen wäre…

 

 

Und so hatte ich im Dezember 1996 den für mich damals größten Schritt der Weiterbildung hinter mir, viel Wissen, dass mich weiter gebracht hat, aber mindestens genau so viel Wissen, das ich nie wieder brauchen werde. Das dazu gelernte Wissen war sicherlich nicht der ausschlaggebende Kriterium, warum ich den Sprung in die Projektierung geschafft habe, sondern eher der Punkt, dass ich mich weiter Bilden wollte, nicht auf der Stelle treten wollte und nicht schon mit 34 in ein Fahrwasser kommen, das einen nicht mehr fordert.