Zwei Unfälle

 

 

Die meisten Geschichten hier waren bis jetzt ja überwiegend amüsant, aber auch in meinem Leben gab es Momente, die ich nicht wirklich erlebt haben musste. Ich hatte zwar selber über all die Jahre nur kleine Rempler und war nur ein einziges Mal schuldig und da war mein Gegner ein Gartenzaunpfosten. Doch leider durfte ich auch bei zwei Unfällen mehr oder weniger in der  ersten Reihe sitzen.

 

Der erste Unfall dieser beiden war auf einer kleinen Nebenstraße nicht weit von zu Hause entfernt. Meine Mutter saß auf dem Beifahrerplatz und wir waren auf dem Weg zu meiner Oma. Diese kleine Straße schlängelt sich dort landschaftlich wunderschön durch die Weinberge mit teils sehr unübersichtlichen Kurven. Ein paar hundert Meter vor mir fuhr ein roter Golf mit recht flottem Fahrstil. Wir kamen dann an genauso einer Kurve langsam ums Eck und da stand der rote Golf quer auf der Straße und von unten kommend ein weiteres Auto, das ihm voll in die Seite gekracht war.

 

Radkappen rollten weg und die Fahrer waren noch in den Fahrzeugen.

 

Ich sofort nach links in einen dort abbiegenden Feldweg und angehalten, Warnblinkanlage an, Funkgerät eingeschalten und einen Notruf abgesetzt, sodass wenigstens die Rettungskräfte gleich auf dem Weg waren (Ja, da gab es noch keine Handys, da waren wir Amateurfunker allen anderen noch einen großen Schritt voraus!)

 

Es war Sommer und sehr heiß, sodass meine Mutter auch gleich die Türe öffnete, aber nicht ausstieg. Sie war für solche Situationen nicht geeignet…. Ich lief raus und die junge Fahrerin des Autos vom Tal lief völlig aufgelöst auf mich zu. Sie war aber soweit okay, ohne einen Kratzer und auch ansprechbar. So wendete ich mich von ihr ab und lief auf den roten Golf zu, dessen Beifahrerseite über fast die ganze Fahrgastzelle erheblich eingedrückt war. Die Fahrerin, eine Frau mittleren Alters kam direkt auf mich zu, war aber nicht in der Lage, auch nur ein Wort zu sprechen! Sowas hatte ich bis dato noch nie gesehen, dass jemand mit weit aufgerissenen Augen vor dir stand und keinen Ton rausbrachte. Ich sagte Ihr, Hilfe sei schon unterwegs und ging zum Auto, um nach dem Beifahrer zu sehen. In diesem Moment springt ein Rauhhaardackel aus dem Auto, schaute sich kurz um, rannte zu meinem Auto und sprang in einem Zug durch die Beifahrertüre in den Fußraum zwischen die Beine meiner Mutter. Dort saß er und machte keinen Mucks. Meine Mutter machte auch keinen Mucks mehr, denn eigentlich war sie nicht so der große Hundefreund…

 

Mittlerweile hatte dann noch ein weiterer Autofahrer angehalten und war auch bereit zu helfen. In der Ferne hörte man schon das Martinshorn. Der Beifahrer lag immer noch bewusstlos im Auto, aber wir brachten die Türe nicht auf, zu sehr war sie durch den Aufprall verbogen und verkeilt. Und dann begann die harte Zeit. Der Beifahrer kam zu sich, begann zu schreien. Das ging durch Mark und Bein,  bis er vor Schmerzen wieder bewusstlos wurde. Und du stehst da und kannst nicht helfen! Mehrmals haben wir das durch gemacht, bis dann endlich der Notarzt eintraf und die Feuerwehr die Tür aufbrach.

 

Die Fahrerin rannte völlig aufgelöst durch die Gegend, brachte nach wie vor kein Wort heraus. Der Notarzt und seine zwei Helfer kümmerten sich um den Mann, ihren Vater. Da kam ein weiterer Sanitäter auf mich zu und wir beobachteten die Frau. Er meinte, die könne er jetzt nicht bändigen, die ist so voll mit Adrenalin, da warten wir, bis sie umkippt, dann passt das. Und in der Tat, plötzlich blieb die Frau stehen, schaute völlig entgeistert umher, der Sanni sofort zu ihr und schwupps…. War sie im Reich der Träume…

 

Ihr Vater wurde vom Arzt sofort versorgt, sodass er wenigstens nicht mehr zu Bewusstsein kam und schrie. Im Gespräch mit den anderen Leuten habe ich dann aufgeschnappt, dass er sich einen Becken- und Oberschenkelbruch zugezogen hat und die Gefahr der inneren Verletzungen bestehe und er sofort ins Krankenhaus muss. Die Polizei klärte dann noch die Situationen und ich sagte einen der Polizisten, dass ich ja hier noch einen weiteren Fahrgast in meinem Auto hätte. (Meine Mutter saß irgendwie versteinert und schweißgebadet auf dem Sitz… :-) ) Tja, freiwillig wollte der Hund zumindest hier nicht mehr aussteigen.

 

Okay, in Abstimmung mit der Polizei wurde die Fahrt zur Oma abgebrochen und wir fuhren zum Tierheim. Dort angekommen mussten wir dann den armen Kerl mit der Fangschlinge aus dem Auto holen. Aber zum Glück, kaum dass er draußen war, lief er völlig friedlich nebenher und zeigte sogar wieder etwas Neugierde, schnüffelte an meiner Hand und ich durfte ihn sogar streicheln. Wenigstens einer, der unbeschadet aus dem Unfall hervor ging.

 

Ach ja, die junge Fahrerin in dem anderen Auto hatte ein Schleudertrauma, das bereits noch an der Unfallstelle zu wirken begann und sie kaum noch den Kopf drehen konnte.

 

Einige Tage später habe ich dann eine Dankeskarte erhalten. Die Mutter der Fahrerin bedankte sich dafür, dass wir uns ihres Hundes angenommen hatten und er hätte auch den Aufenthalt im Tierheim gut überstanden. Wir telefonierten dann nochmal und da erfuhr ich, dass der Vater zweimal operiert werden musste, um die Hüfte zu korrigieren und einen kleinen Riss im Darm zu nähen. Ihre Tochter, hatte mit einem schweren Schock zu kämpfen.

 

Nach diesem Unfall habe ich meine Einstellung zum Autofahren schon ein Stück verändert. Mir war danach klar, dass unbekannte Straßen sehr gefährlich sein können. Die Fahrerin kannte die Strecke nicht und ließ sich von der Landschaft ablenken, unterschätzte die Kurve, übersteuerte, schleuderte und krachte mit der Seite in das den Berg heraufkommende Fahrzeug der jungen Frau.

 

Aber die Schreie dieses Mannes auf der Beifahrerseite, die werde ich nie vergessen.

 

 

 

 

 

Der zweite Unfall ist so einer der Sorte, bei dem man aussteigt und zuerst selber dasteht und die Tragweite des Geschehens nicht überschaut. Man steht da, man schaltet einfach nicht durch um zu erkennen, dass da gerade 50cm vor einem ein Mensch mit dem Leben kämpft….

 

Autobahn A81, kurz vor Singen am Bodensee. Wir waren zu viert im Auto, alle so zwischen 18 und 20 Jahre, ich, mein Kumpel und zwei Mädels. Wir hatten gute Stimmung im Auto, viel gelacht und gealbert, aber nicht so, dass die Aufmerksamkeit wirklich darunter litt. Wir fuhren auf der mittleren Spur mit ungefähr 100 km/h, rechts überholten wir einen LKW und auf der linken Spur schossen die Tiefflieger der Oberklasse an uns vorbei. Ich sah ungefähr 500m vor mir auf der Mittelspur ein Wohnwagengespann, das gerade ansetzte, einen LKW auf der rechten Spur zu überholen. Weil ich sah, dass ich wahrscheinlich noch vor Ende dieses Überholvorgangs das Gespann erreichte und gerade die linke Spur über ein weiteres Stück frei war, zog ich nach links und fuhr normal weiter. Den Überholvorgang des Gespanns habe ich dann nicht weiter verfolgt, bis es passierte:

 

Der PKW war an dem LKW vorbei und wechselte wieder auf die rechte Spur, doch dabei hat er vergessen, dass da noch der Wohnwagen war…. Der Wohnwagen knallte gegen die Zugmaschine des LKW, das Auto drehte weiter nach rechts und stellte sich quer vor den LKW. Der bremste zwar, was das Zeug hält, aber dennoch stellte sich das Auto leicht auf die Seite. Als alles zum Stehen kam, hing das Auto seitlich unter der Zugmaschine. Zum Glück waren alle umliegenden Autofahrer so geistesgegenwärtig, dass keine weiteren Unfälle passierten, der Reisebus, der ebenfalls auf der Mittelspur war, nutzte noch ein gutes Stück von meiner Spur aus, um ohne Schwierigkeiten für seine Fahrgäste anhalten zu können.

 

Sekunden später begann dann eine Vielzahl von Menschen, alles für die Verletzten zu tun. Ich blieb sitzen nahm mein Mikrofon vom Funkgerät in die Hand und setze einen Notruf ab, mein Kumpel war ausgestiegen und lief zum verunglückten PKW. Nach dem Notruf ging ich dann ebenfalls an die Unfallstelle. Der LKW-Fahrer konnte zwar noch sein Fahrzeug etwas zurücksetzen, damit der PKW wieder frei war, aber der war mit den Nerven restlos runter.

 

Wir alle versuchten verzweifelt die Türen des PKW auf zu machen, doch sie klemmten. Ich stand plötzlich auf der Beifahrerseite und schaute durch die zerbrochene Scheibe in das Gesicht einer jungen Frau, die mich mit weit geöffneten Augen ansah, sie starrte mich an, sie wollte irgendetwas sagen, aber ihre Stimme versagte. Ich erkannte, dass ihr rechter Arm zwischen Sitz und Türe schwer eingeklemmt war und wollte die Türe öffnen, als ihre Kopfhaltung weicher wurde, sie mich nochmal anschaute und die Augen schloss… da bemerkte ich erst, dass ich bereits in einer großen Blutlache stand, das unten aus der zerdrückten Türe tropfte. Sie starb direkt vor meinen Augen und ich stand hilflos davor.

 

In diesem Moment war mir das zwar völlig klar, aber diese Situation hat mich erst viel später wirklich erreicht.

 

Ein Ersthelfer versuchte noch dem Fahrer zu helfen, meinte aber dann auch, dass hier alles zu spät war. Kurze Zeit später kamen dann Polizei und Notarzt und wir hielten uns etwas auf Abstand, als plötzlich wilde Hektik aufkam. Die Feuerwehr schnitt mit wilder Kraft die Beifahrerin aus dem Auto und legte sie auf eine Bahre, stellten Sichtschutzwände auf und die Ärzte begannen zu arbeiten. Aus der Ferne war das Klopfen eines Rettungshubschraubers zu hören. Was wir alle nicht bemerkt haben, die Frau war im siebten Monat schwanger und die Ärzte haben den Säugling auf der Autobahn per Kaiserschnitt auf die Welt geholt. Sie kämpften um das Leben dieses kleinen Würmchens, das wenige Minuten vorher zur Vollwaise geworden ist. Sie probierten alles, ohne zu wissen, ob nicht schon große Schäden durch Sauerstoffmangel entstanden waren.

 

Der Heli hob ab und flog das Kind in eine Spezialklinik in Singen.

 

Wir standen alle völlig bedröppelt auf der Autobahn, keiner redete mehr laut, keiner konnte noch irgendeinen Scherz machen, irgendwie war Eiseskälte eingekehrt….

 

Es dauerte dann noch ungefähr eine halbe Stunde, bis die Polizei die Straße wieder soweit frei gab, dass der gestaute Verkehr langsam wieder ins Rollen kam. Wir fuhren noch bis Meersburg auf unseren Campingplatz und gingen dann erst mal eine Runde Laufen, um das Erlebte zu verarbeiten. Zum Glück haben wir uns alle gut gefangen, sodass der Urlaub trotzdem gut verlief.

 

Wenige Tage später stand dann in der Zeitung, dass der gerettete Säugling einen Tag später in der Klink ebenfalls verstarb. Das war vielleicht besser für ihn…

 

 

Seitdem weiß ich, dass ich in Extremsituationen über ein „Notfallprogramm“ verfüge, das mich nur noch rational handeln lässt und lange Zeit die Empfindungen so stark dämpft, dass ich frei von Panik bleibe und gezielt Denken und Handeln kann. Ob es ein Segen ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen… Und zum Glück musste ich all die folgenden Jahre nicht mehr so an einem Unfall helfen….