Zwetschgenernte bei Onkel Reinhold

 

 

Einer meiner vielen Onkel, zu dem wir drei Kinder und unsere Eltern nicht wirklich ein inniges Verhältnis hatten, aber durch die Familienzugehörigkeit dann doch hin und wieder gemeinsame Sache machen mussten, war Onkel Reinhold. Er litt an Parkinsonscher Krankheit, was aber seiner Boshaftigkeit  zu seiner Haushälterin und seinen Verwandten, allen voran seine Geschwister, nicht einschränkte. Ja, er hatte das Glück, dass seine „Geschäfte“, was auch immer das gewesen sein mag, ihm ein ordentliches Vermögen eingespült hatten, das aber jetzt Stück für Stück durch seine Krankheit aufgebraucht wurde. Zum Leidwesen meiner beiden Tanten, die ja so gerne geerbt hätten….

 

Nichts desto trotz, Onkel Reinhold war zu uns Kindern immer einigermaßen okay, wenn auch nicht immer freundlich. Er brachte uns Kinder auch jedes Mal Schokolade mit, aber leider immer eine Toblerone, genau die Schokolade, die eine extrem lange Haltbarkeit in unserer Süßigkeitenschublade hatte. Nein, wir mochten diese Schokolade nicht, aber wie es uns der Anstand gelehrt hatte (Nein, mein Vater hieß nicht Anstand!) bedankten wir uns immer brav dafür. Das gehörte sich damals ohne Widerrede.

 

Er wohnte im Schwarzwald in der Nähe von Schwandorf, oben auf dem Berg in einer Siedlung von Ferienhäusern, die er eines nach dem anderen baute und dann wieder verkaufte. Das schönste Häuschen natürlich, vorne am Eck mit traumhafter Sicht über das Tal und die Nagold, das war sein Revier! Unter Kiefern und Tannen in idyllischer Lage, dem stetigen Rauschen der Bäume im Wind ausgesetzt, ja, hier kann man es aushalten. Im Anschluss an sein Häuschen war dann eine Wiese, die einem als Kind so groß vorkam wie die ganze Welt. In der Tat, die Wiese war ungefähr 200m lang und 100m breit, überwiegend nur Wiese, aber am unteren Rand eingerahmt mit Zwetschgenbäumen und Mirabellenbäumen.

 

Es war Herbst, die Zwetschgen waren noch nicht ganz reif, aber ideal zu ernten. Es war ein gutes Jahr, es gab wenig Würmer und die Bäume hingen voll. Und mein Vater hatte mal wieder einen „Schlachtplan“. Sowas hatte er immer dann, wenn es vorher Zoff mit den entsprechenden Personen gab. Da wurde dann schon mal mit unkonventionellen Mitteln Rache ausgeübt.

 

Es war früh morgens, irgendwo zwischen 6 und 7, als sich mein Vater, meine Mutter und eine meiner beiden Schwestern auf den Weg machten von Esslingen nach Schwandorf. Es wurde nicht viel geredet, es hieß nur kurz: Kinder, ihr müsst mit, alleine schaff ich das nicht, wir müssen Zwetschgen ernten. Ich als unbescholtener Junge fragte dann noch: Warum müssen wir dort Zwetschgen ernten? Das mussten wir doch noch nie???? Und ich bekam die kurze Antwort: Dieses Jahr müssen wir…. :-)

 

Nach gefühlter Ewigkeit kamen wir dann dort an. Okay, ich muss zugeben, ich war  kein guter Autofahrer. Bei Urlaubsfahrten an den Chiemsee, was ungefähr 4 Stunden dauerte, hab ich bereits nach 20 Minuten gefragt: Dauerts noch lange??? Ihr seht, ich war nicht wirklich gemütlich….

 

Die Sonne schien schon angenehm warm über die Tannenwipfel und lies den Morgentau in der Wiese funkeln. Der wunderbare Duft von Wald und Tanne füllte die Gegend und wurde vom Gezwitscher der Vögel untermalt. Schon als Kind genoss ich den Flair, den diese Landschaft aufwies. Mein Vater fuhr mit dem Auto extra einen Umweg, damit wir nicht am Haus meines Onkels vorbei kamen, sondern über ausgefahrene Feldwege von der anderen Seite. Er meinte nur, hier könne er besser an die Bäume heran fahren…. Ah ja…

 

Wir luden sofort die ganzen Planen und die Eimer aus, meine Schwester reihte die ganzen Kisten auf und meine Mutter musste sich erst mal umziehen. Man geht ja nicht in Arbeitsklamotten aus dem Haus…  Hei, und da hatte mein Vater die beste Idee! Er rief mich zu sich und erklärte dann: Dorothee, du hälst unten die Folie fest, dass die nicht verrutscht, Loni, (meine Mutter) du geht’s an das andere Ende, ich halte die Kiste fest, und du Stefan, du kletterst auf den Baum und schüttelst was das Zeug hält! Endlich, auf Bäume klettern unter Anweisung!!! 

 

Ich schüttelte so sehr ich konnte und die Zwetschgen prasselten auf die Plane nieder, kullerten in die Mitte und dann in schönem Bogen in die Kiste. Auf diese Weise war der Baum praktisch zu 80% abgeerntet und die Kisten in kürzester Zeit gefüllt.

 

Ich weiß heute nicht mehr, wie viele Bäume diese Wiese säumte, aber sie standen schön in Reih und Glied über die rund 200m Länge. Als fast alle Kisten voll waren, lud mein Vater sie in den Kofferraum und brachte sie in eine ortsansässige Schnapsbrennerei. Und so pendelte er mehrmals zwischen Wiese und Ort, bis wir ungefähr die Hälfte der Reihe abgeerntet hatten. Ich hatte langsam auch die Kletterei satt, erst recht die Schüttelei, denn das geht ganz gehörig auf die Arme. So wurden dann irgendwann noch zwei Kisten mit Zwetschgen gefüllt und es ging dann nach Hause.

 

Mein Vater war auf der Heimfahrt überaus gut gelaunt, war gesprächig, scherzte mit uns herum. Wir alle hatten den halben Tag so viele Zwetschgen gegessen, dass wir getrost auf das Essen verzichten konnten. Und für die Verdauung war die Prozedur auch  sehr anregend, nicht spontan, aber spätestens am nächsten Tag….

 

 

Leider wurden vor einigen Jahren die meisten Zwetschgenbäume wegen Altersschwäche umgesägt. Ich wäre heute nochmal gerne am Stamm eines Baumes in der Sonne gesessen um die Erinnerungen zu genießen….