Das Großmaul

 

 

1981 war für mich ein ganz besonderes Jahr. Mit der ersten großen Liebe zusammen gekommen, im August mit der Ausbildung begonnen, im November meine Amateurfunkprüfung absolviert, für damalige Verhältnisse ein rundum voll ausgefülltes Jahr.

 

Die Ausbildung zum Energiegeräteelektroniker (Eine echte Wortschöpfung der 80-er Jahre) hat mit der mechanischen Ausbildung begonnen, feilen, bohren, fräsen, drehen, alles musste mal gemacht werden.

 

Es war schon so gegen Ende des Jahres, wir waren gerade dabei ein Werkstück aus Aluminium zu feilen, da wusste man schon so, wie die einzelnen Leute tickten. Da war „Hekti“, der keine Hand ruhig halten konnte, unser Popper „Josi“, unser „Bauer von dr Alb rah“, den wir „Mudel“ nannten, keine Ahnung mehr warum, und so manch anderer verrückte Namen. Es gab ruhige Leute, Theoretiker, Praktiker, einfach Leute und natürlich auch einen Schwätzer, der immer alles besser konnte und sein Werkstück immer das Schönste war. Wir nannten ihn „Das Huhn“! Er hatte nämlich eine sehr dünne Oberlippe, und wenn er mit leicht geöffnetem Mund dastand und man von der Seite ihn betrachtete, dann stand die Oberlippe immer leicht ab und Josi alberte mit Mudel herum und kreierten dabei die „Hühnerlippe“! War ja auch klar, dass Thomas das Huhn sein musste, denn er fuhr einen Manta-Automatik, der hatte so einen Wahlhebel, der wie eine Hühnerstange aussah. Also alles hat gepasst! :-)

 

Wir feilten an diesem Aluminium herum und wer sowas schon mal gemacht hat, der weiß, was für eine elende Sauerei das ist, wenn man mit der Feile einmal über Weichaluminium drüber feilt. Dann setzen sich nämlich die ganzen Schneiden zu, es feilt nicht mehr richtig und viel Schlimmer, diese reingesetzten Fiezel versauten einem die ganze schöne Oberfläche. So sehr, dass nach zwei Tagen mehrere fast fertige Werkstücke in der Schrottkiste lagen. Aber Hühnerlippe war ja der Beste, sein Werkstück ist das edelste, das schönste!! Okay, zugegeben, er hat nur eines versaut und das Zweite ist schon schön gelungen. Jetzt könnt ihr euch vorstellen, dass das nur Wasser auf seiner Mühle war. Mir ging sein Herumgesabbere aber irgendwann so auf den Geist, dass ich ihm eine Abreibung der besonderen Art verpassen wollte.

 

In der Pause schlich ich zur Schrottkiste und fischte dort alle benötigten Teile heraus, um das aktuelle Werkstück nachbauen zu können. Zurück am Platz habe ich dann in alle Teile seine Nummer eingeschlagen (Mussten wir immer zur Kennzeichnung), und anschließend die Teile mit dem großen Hammer derart traktiert, dass es danach wirklich nur noch Schrott war. Als dann Mr Huhn mal wieder sein Werkstück in den Himmel lobte und anschließend kurz auf dem stillen Örtchen verschwand, sagte ich laut vor dem Meister: Jetzt reichts, jetzt gibt’s Saures, lief um den Tisch, legte sein „wunderschönes Werkstück“ in seine Schublade und platzierte auf dem Tisch das zertrümmerte Teil. Ich dacht in dem Moment schon, mein Meister, Herr Pany, würde mir den Spaß verderben, aber als er die Sache durchschaute und sah, dass ja eigentlich keinem geschadet wurde, setzte er sich grinsend auf seinen Platz und schwieg.

 

Thomas kam nach 5 Minuten zurück, jeder stand schweigend an seinem Schraubstock und arbeitete konzentriert. Schon beim Hereinlaufen schaute er sich verwundert um, weil dieses Schweigen absolut unüblich war. Er ging an seinen Platz, nahm seine Wasserflasche, setzte an zum trinken und sah sein Werkstück….. Der geplante Schluck blieb ihm im Halse stecken. Verlegen schaute jeder zu ihm rüber. Er griff nach dem Teil, hielt es hoch und stammelte: Nein…. Also…. Ne Jungs, das geht zu weit…. Also, ihr seid doch solche Ar….löcher….also das geht zu weit…. Und dreht sich zum Meister um, der mit hoch rotem Kopf vom Kichern an seinem Tisch saß. Thomas verstand die Welt nicht mehr und die ganze Bande lachte!

 

Thomas wurde sauer, je mehr wir lachten, desto stinkiger wurde er und ist nicht auf die Idee gekommen, dass er hier einem Streich aufgesessen war. Erst als ich um den Tisch kam und vor seinen Augen seine Schublade aufzog, kam langsam Erleichterung in seine Gesichtszüge….

 

Nie wieder war ein Lacherfolg so groß, an dem auch die Meister mit lachten! Nie mehr war das Mundwerk von Thomas, genannt Hühnerlippe so groß wie davor!

 

 

Und nie wieder war sein Puls für einen Moment so langsam…. :-)