Mama, lass das!

 

 

Ich musste jetzt schon eine Weile nachrechnen, bis ich wieder wusste, wann ich damals diese Aktion gestartet habe. Es war 1987, nach meiner Bundeswehrzeit in meiner ersten eigenen Wohnung im elterlichen Haus. Eine kleine 2-Zimmer-Wohnung  mit teilweise schrägen Wänden im 2ten Obergeschoß mit super Aussicht über das ganze Tal. Ich war stolz darauf, in so einer super Lage sein zu dürfen, weil ich ja als alter Amateurfunker sowieso nie hoch genug sein kann!

 

Die Einrichtung war schon etwas spartanisch so in der ersten Zeit, Jugendzimmerbett im Schlafzimmer, den dazugehörigen Schrank, ein Nachttischchen aus Uromas Zeiten und einen großen geflochtenen Korb für all das, was mal so schnell verschwinden muss. Im Wohnzimmer stand ein altes Sofa mit einem Sessel, bezogen mit so samtartigem, grauen Stoff, einen weißen Tisch mit Glasplatte, einen alten Wohnzimmerschrank eines Vormieters, der das Teil nicht mehr wollte, ein Tisch, zwei Stühle, eine niedere Kommode, auf der der Fernseher stand und mein Radio, ein altes Röhrenradio von 1956, von mir repariert! Der passende Sender dazu, ein privater Sender namens „Bürgerradio“! Der machte flotte, moderne Musik und ich gebe zu, auch die Moderatorin Sonja hatte es mir angetan…. Kannte ich sie doch aus Schulzeiten mit ihren superlangen, schwarzen Haaren… die sie zu meinem Entsetzen auf über Schulterlänge zurückgeschnitten hatte!!

 

Die Küche bestand auf der linken Seite aus ein paar Schränken, einem Herd mit Backofen und einem Kühlschrank. Gut, der Kühlschrank war eher ein Getränkekühler und die Kaffeemaschine war öfters in Benutzung als der Herd, sofern es bei meiner Mutter einen Stock tiefer noch „Reste vom Mittagessen“ gab.  Nein, so ganz auf Abhängig wollte ich dann doch nicht sein und machte mir hin und wieder auch selber etwas, weil aber so zu sagen die Grundausrüstung an Gewürzen und sonstigen Dingen fehlte, lief diese Eigenständigkeit etwas zäher an, als ich dachte. Gekochte Kartoffeln schmecken auch ohne Salz, Butterbrot auch ohne Butter, nur Salat ohne Öl ist eine sehr große Geschmacksherausforderung! Aber es war mein Essen, von mir kreiert und zubereitet, von meinem Taschengeld gekauft! Und nein, so manches Mal hätte ich einfach einen Stock tiefer gemusst, um die „Rettung“ zu erleben, dies wollte ich aber nicht! Schließlich sollte ein Mann mit 25 durchaus auch in der Lage sein, selber über die Runden zu kommen. Es war ja so gesehen noch schlimm genug, dass meine Mutter meine Wäsche gewaschen hat, weil mir schlichtweg das Geld für eine Wama fehlte.

 

Ach, gut das ich das anspreche…. Die Wäsche. Vom Prinzip her war es sehr einfach: Die schmutzige Wäsche kam auf den großen Haufen im Schlafzimmer, die Saubere stand in Waschkörben im Zimmer. Manchmal schaffte diese frische Wäsche es auch, noch vor Benutzung in den dafür gedachten Schrank geräumt zu werden, wobei das aber immer mit Arbeit verbunden war, was man ja andererseits jetzt so nicht unbedingt freiwillig machte, wenn es sooooo viele andere Ablenkungen gab. Kurzum, auf den Schlafzimmerschrank hätte ich fast verzichten können!

 

So kam es dann doch immer wieder vor, dass meine Mutter sich nicht mehr zurückhalten konnte und nicht nur meine schmutzige Wäsche aus meiner Wohnung holte, was sie eigentlich nicht sollte, sondern auch anfing, die frische Wäsche gleich in den Schrank zu packen. (Sie redete sich so heraus, dass sie meinte, sie bräuchte die Wäschekörbe gleich wieder. Soso, wozu braucht sie MEINE Wäschekörbe???)

 

Okay, einerseits war so ein „Zimmerservice“ nicht schlecht, das gebe ich schon zu, weil so ganz nebenbei auch die schmutzigen Teller aus dem Wohnzimmer vom Vorabend den Weg in die Küche fanden, die alten Zeitungen zusammengeräumt wurden, die Jacke aufgehängt, die Kaffeereste aus den Tassen weggekippt und das drei Tage alte Essen im Topf eingeweicht wurde. Aber…. Ich wollte es doch alleine schaffen! Ich wollte selber meinen Dreck wegräumen! Also, raus zur Tür, runter zu Mama und in Ruhe gesagt, dass das zwar nett ist, aber nicht gewünscht.

 

Der gute Vorsatz hat bei meiner Mutter gerade mal eine Woche gehalten, dann konnte man die Spuren des Nachräumens wieder feststellen. Ich sofort wieder runter und immer noch freundlich, aber doch etwas erster darauf hingewiesen, dass ich das so nicht wollte. Ja, ich gebe zu, in diesen Tagen habe ich es dann auch extra schlimm aussehen lassen. Man wollte so zu sagen austesten, ob sie der Macht des Aufräumens widerstehen konnte. Ha, aber das war die Rechnung ohne meine Mutter! Unter irgendeinem Vorwand, dass man es so nicht lassen könne wegen hygienischer Gründe war dann plötzlich wieder so eine Halbordnung in der Wohnung, als ich mal nach längerer Tanznacht wieder nach Hause kam.

 

Okay, Plan A hat nicht funktioniert, es muss ein Plan B her. Kopfkratz…. Tja, wie bringt man einer fürsorglichen Mutter bei, dem innerlichen Trieb der Brutpflege Kontra zu geben und nicht nach dem Rechten sehen zu wollen. Ich will es mir ja nicht gänzlich versauen, aber wenigstens soweit auf eigenen Füßen stehen können wollen, wie es ebenso geht! Und da kam mir die geniale Idee!

 

Zwei Tage später kam ich nach der FH nach Hause, war das Frühstücksgeschirr in die Küche getragen, die Teller vom Vortag im Wasser eingeweicht und meine frische Wäsche säuberlich weggeräumt. Ich stand auf, ging zu meiner Mutter, begrüßte sie freundlich, wir sprachen miteinander über den Tag und dann setzte ich an:

 

Liebe Mama,

wenn du schon die Teller im Wasser einweichen tust, dann spüle sie bitte auch ab, trockne sie ab und räume sie in den Schrank, genauso mit dem Frühstücksgeschirr! Und wenn du schon in meiner Wohnung haushaltsarbeiten anfängst, dann nimm bitte auch den Staubsauger in die Hand und sauge das Schlafzimmer durch! Die Wäsche gehört nicht einfach so in den Schrank, sondern Hell und Dunkel getrennt, die Socken will ich in der Schublade, schön nebeneinander, dass man gleich erkennen kann, welcher wo liegt! Ach ja, die Treppe im Treppenhaus gehört auch mal wieder gewischt…. Drehte mich um und schwirrte ab.

 

Ich weiß nicht, wie lange sie gebraucht hat, bis sie wieder zu atmen anfing, aber eines wusste ich genau, so habe ich sie ein Stück an ihrer Ehre gepackt. So viel, dass sie die von mir angesprochenen Arbeiten ganz sicher nicht mehr machen wird.

 

Der Erfolg gab mir Recht! Ich erhielt meine Wäsche in den Waschkörben, die nicht mal mehr ins Schlafzimmer getragen wurden, sondern bereits im Flur abgestellt waren, ich lernte, wie schwer Ravioli nach mehreren Tagen vom Teller zu kratzen sind und höllisch es weh tat, wenn man mit dem kleinen Zeh am Wäschekorb hängen bleibt oder barfuß mit der Ferse genau das kleine Steinchen trifft, das im Flur auf dem Boden liegt.

 

Wir hatten beide gelernt. Ich, dass ein guter Plan schon mal hilft, nicht die Übersicht im Haushalt zu verlieren und sie, dass man auch mal blind sein muss, damit der betroffene selber einen Blick für die Unordnung bekommt. Ich habe ihr meine Vorgehensweise bereits ein paar Tage später erzählt und auch, dass ich mir echt überlegt habe, wie ich aus der Nummer einen Erfolg machen kann und nicht eine beleidigte Mama. Wir lachten beide darüber und sie gab zu, dass ich sie mit dieser Aktion genau da getroffen habe, wo es am wirkungsvollsten war.

 

Kurze Zeit später zog dann meine damalige Freundin bei mir ein, brachte zu Anfang nicht wirklich Ordnung in die Wohnung, konnte aber durchaus lernen, dass so ein Haushalt Arbeit macht, die man auch mal tun musste, wenn man keine Lust darauf hatte. Schließlich habe ich das Kochen übernommen, weil Ihre Kochkünste eher zum Ausrotten der Menschheit gereicht hätten.

 

 

Liebe Mütter, liebe Väter, auf eigenen Beinen stehen ist mit einem Jahr das erste Mal schwer, und ungefähr 20 Jahre später noch einmal. Lasst eure Kinder durchaus auch mal über und in den Dreck fallen. Nur so lernen sie, auch wieder auf zu stehen!