Meine Schwesterherzen

 

 

Außer mir und meinen Eltern gab es da noch zwei ältere Schwestern in meiner Familie, Susanne, von allen nur Suse genannt und Dorothea, genannt Dorothee und wer sichs mit ihr verscherzen wollte nannte sie Dorle…

 

Wie mir aus zuverlässigen Quellen erzählt wurde, waren meine beiden Schwestern untereinander nicht immer die besten Freundinnen. Mag es am Altersabstand liegen oder an der Nachkriegszeit, man hat sich geduldet, geärgert, aber wenn es darauf ankam, zusammengehalten. Ja, meine Suse ist 15 Jahre älter als ich und meine Dorothee noch 8 Jahre älter. Und aufgrund der ewigen Zerfereien zwischen den beiden Mädels war Dorothee natürlich sehr glücklich, dass da noch ein Geschwisterchen unterwegs ist, bestehen doch die Chancen, dass die Verbindung in diese Richtung besser werden könnte. So wurde ich Anfang der 60-er Jahre in die Welt und Arme meiner Mutter und meiner Schwester geboren. Ja, Suse fand mich auch toll, sie mochte mich auch und machte sich auch Gedanken und Sorgen um mich, aber mit 15 ist das Interesse an Jungs dann doch etwas stärker als an einem brüllenden Etwas, das auch noch eine nicht so angenehme Duftwolke in regelmäßigen Abständen in die Welt setzt.

 

Dorothee dagegen bekam das, was sie sich gewünscht hatte. Ging sie doch mit Oma regelmäßig in die Kirche, sofern sie bei ihr übernachtete und betete: „Lieber Gott, wenn es dich da oben wirklich gibt, dann lass es einen Bruder werden, mit Schwestern hab ich soweit die Nase voll….“ So wurde ich von ihr stets sehr behütet und verwöhnt. Und in der Tat, zwischen Ihr und mir bildete sich eine sehr enge und vertraute Beziehung. Egal, was mich bewegte, sie hatte immer ein offenes Ohr für mich, sie versorgte meine Abenteurerwunden, die meine Streifzüge durch die Hecken und Wiesen der Nachbarschaft hinterließen, sie half mir bei „unüberwindlichen Bastelprojekten“ an der Modelleisenbahn, konstruierte mit, wenn ich mal wieder Mannsgroße Kräne und Türme gebaut habe und, was ich ihr sehr hoch anrechne, sie half mir sehr über meinen ersten Liebeskummer hinweg, der mich quälte. Ich höre heute noch ihre Stimme und die Worte: „Heul dich aus, lass es richtig raus, aber wehe du verfällst in Selbstmitleid! Dafür bin ich nicht da!!!“ Peng, das hatte gesessen! Danke für diese harte Ansage, aber die hat mir über all die Jahre immer wieder den Kopf aufgerichtet, selbst nach 30 Jahren, als mich meine Ex vor die Tatsache der getrennten Wege stellte, waren es diese Worte, die mich nicht verzweifeln ließen.

 

Suse war vom Altersabstand zu weit weg von mir. Die Momente, an die ich mich noch erinnern kann, waren die Streitereien mit Dorothee und mit meinem Vater. Wobei, mein Vater liebte sie über alles! Seine große Tochter! Er beschrieb es immer so: Es gibt keinen anderen Menschen auf der Welt, mit dem ich so gerne streite! Es wurde ausgeteilt und eingesteckt, aber immer so, dass man sich spätestens am nächsten Tag in die Augen schauen konnte. Suse war irgendwie sehr besitzergreifend. Was ihr gehörte, wurde bis aufs Blut verteidigt! Oder mit besonderen Maßnahmen gesichert. Hier denke ich an folgende Geschichte:

 

Das Essen war fertig, fast alles stand schon auf dem Tisch, meine Mutter brachte noch den letzten Topf aus der Küche auf den Tisch und mein Vater hat zuvor den grünen Salat auf 5 Schüsseln verteilt, um die große Schüssel vom Tisch zu räumen. Alles saß am Tisch, man begann zu essen, und dann, wie jeden Tag, wie bei jedem Essen, Suse wurde unruhig und musste nochmal kurz aufs Klo. Jetzt muss man wissen, wir waren alles Salatfreaks! Grüner Salat aus Opas Garten, egal ob Kopfsalat, Endivie, Ackersalat und was auch immer, für eine Schüssel Salat haben wir sogar aufs Fleisch verzichtet! Jetzt traute Suse aber uns allen nicht über den Weg. Denn es könnte ja sein, dass während dieser zwei Minuten Abwesenheit sich irgendeiner mit seiner Gabel in ihre heilige Salatschale verirrt. Also was machte Suse? Den Teller mit dem Fleisch, den Kartoffeln und Soße ließ sie einfach stehen, aber der Salat wurde zur Sicherheit mit aufs Klo genommen…. Sicher ist sicher!!

 

Suse war mit naheliegender Sicherheit durch die Entbehrungen der Nachkriegszeit geprägt, 1947 geboren in eine Welt aus Schutt und Asche, zusammen mit den Urgroßeltern in einem kleinen Siedlungshäuschen wohnend, meine Mutternach schwerer Geburt ein halbes Jahr im Krankenhaus,  das wird schon so seine Prägungen hinterlassen haben. Auch wenn mein Kontakt zu ihr über viele Jahre nicht so sehr intensiv war, so waren verschiedene Ereignisse doch sehr wegweisend. Der überraschende Tod meiner Mutter rückte uns ein kleines Stück zusammen. Ich lernte hier überhaupt meine große Schwester erst so richtig kennen, war sie doch die Jahre zuvor auf ihre eigene Familie fixiert. Man besuchte sich zwar oft, aber da war eben die Distanz des Alters und des Familienstandes. Sie war wie Mama und Papa verheiratet, hatte zwei Kinder, ein eigenes Haus, eine eigene Welt. Für mich als Bruder war sie schon die Schwester, aber eben die Schwester, von der ich nicht so viel wusste.

 

Nach dem Tod meines Vater 1996 passierte dann etwas Besonderes. Trotz des Schmerzes über den Verlust des langjährigen Familienoberhauptes verbanden uns die Ereignisse drum herum sehr intensiv! Wir waren eine Erbengemeinschaft, wir haben über all die Jahre gesehen, erlebt und gespürt, wie man zusammen halten und gemeinsam Hürden meistern kann. Wir verwirrten den Notar damit, dass wir eine Erbengemeinschaft waren, die sich verstand, die sich einig war, wir haben bei der Bankangestellten den riesigenen Stein plumsen hören, als wir ihr nach sehr zugeschnürten 10 Minuten zeigten, dass wir nicht hier sind, um uns zu zerfleischen, sondern gemeinsame Stärke zu zeigen!

 

Aus Suse, die Unnahbare wurde Suse, die große Schwester mit umfangreicher Lebenserfahrung, mit festem Willen und resolutem Vorgehen. Es schweißte uns so sehr zusammen, dass wir die restliche Verwandtschaft, die ja schon Mord und Totschlag prognostizierten für unsere Zukunft, wenn es dann ans Verteilen vom Geld geht, denen zeigten wir, dass es auch anders geht!

 

Dorothee hatte über all die Jahre sehr engen Kontakt zu mir gehalten. Ich war oft bei Ihr und meinem Schwager, habe viele Dinge gelernt, die man vielleicht erst mit auf die Nase fallen hätte lernen können. Wir waren uns eine Zeit sogar äußerlich so ähnlich, dass es auf die Distanz zu Verwechslungen hat führen können. Okay, das war die Phase der Pupertät, in der ich  wie alle anderen auch  lange Haare tragen wollte. Ich wollte aussehen wie der Sänger von Sweet mit langen, glatten Haaren, aber Dank meines Lockenkopfes doch mehr wie ein hellhäutiger Schwarzer…. Lach!

 

Auf Ihrer 2CV4-Ente mit 16 PS habe ich das Autofahren gelernt, durch Ihren Mann wusste ich, dass man sich sein Moped selber verdienen muss, dass einem Zigaretten nicht mitgebracht wurden, sondern dieses Zeug muss man selber kaufen. Dorothee hat mir von einem ihrer ersten Gehälter einen Kassettenrecorder geschenkt, auf den ich sowas von Stolz gewesen bin! Ein kleiner Recorder von ITT Schaub-Lorenz! Silbern, mit so runden Löchern über dem Lautsprecher und einem ausziehbaren Tragegriff…. Und selbst heute verbindet uns ein sehr intensives Band.

 

Wenn wir drei uns heute treffen, dann ist das immer ein ganz besonderes Erlebnis! Wir haben über die Jahre das aufgebaut, was familiärer Zusammenhalt bedeutet. Auch wenn Suse aufgrund ihrer Erziehung aus einer doch noch eher zugeschnürten Zeit in manchen Punkten etwas anders reagiert, und Dorothee manches Mal mir ähnlicher ist, als ich mir selber, dann weiß ich, was ich an diesen beiden Geschwistern habe!